THOMAS RASCHKE

Mathes TX

Es war irgendwo in Texas, middle of nowhere, zwischen San Antonio und Corpus Christi. Der Automechaniker kam wieder hoch, er war lange, halb unter der Kühlerhaube verschwunden gewesen. Ein Mexikaner, sorry, ein Amerikaner mexikanischer Abstammung. So ein Typ Autoschrauber, der notfalls mit Leukoplast und Kaugummi an alten Kisten Wunder bewirkt. Wir standen im Kies auf einem Gelände, wo Schrottplatz und Autowerkstatt kontinuierlich in einander übergehen. Sein oder nicht sein. Werden und vergehen. Er schüttelte langsam den Kopf als wäre er noch in Gedanken. Mit pietätsvoller Stimme sagte er: „ the car gave up ist goast“ und schob, mit einer, da ist absolut nichts mehr zu machen, Mine, das Wort „ Headgasket“ hinterher. So war nun wohl im Englischen wie im Deutschen, der Geist aus unserem Auto entwichen. Schon verrückt, dass in beiden Sprachen und Kulturen der Maschine Geist zugesprochen wird. Das musste aber ein ganz schlitzäugiger Geist gewesen sein. Ein eingehauchter Zen. Denn der Subaru war beim Export bestimmt bereits beseelt. So war nun japanischer Geist in dem texanischen Städtchen Mathes ausgetreten, um sich laut Konfuzius, dort im nächsten Neuwagen oder einem aus Schrottteilen wiederentstandenem Motor zu reinkarnieren. Vielleicht hatte es ja auch sein Gutes. Think positiv. Think Pink. Im großen Ganzen kann man sich ja auf den Geist der Maschine verlassen.

Sir Phileas Fogg verließ sich in Jules Vernes in Achtzig Tagen um die Welt auf seinen Taschen Chronometer. Ein äußerst präzises und fein gearbeitetes Stück Nicht umsonst hatten die Briten in diesem Jahrhundert die zuverlässigsten Marine-Chronometer entwickelt, mit denen zum erstenmal genauste Koordinaten-Bestimmungen auf See möglich wurden. Phileas Fogg, ein sehr korrekter britischer Zeitgenosse lebte in vollstem Einklang mit diesem kleinen mechanischen Wunderwerk, so rhythmisch verwoben ganz synchronisiert, dass die allgemein bekannte Tatsache, Zeit zu gewinnen wenn man immer nach Osten reist nicht kompatibel war mit der Korrektheit seines Lebens und der Genauigkeit seiner Uhr. Eine Frau musste ihn auf seinen Fehler hinweisen , dazu noch eine Nicht-Britin. Die hat´s noch mal rausgerissen und dem Gentleman zum Sieg verholfen.

Völlig verwirrend, wenn es möglich ist, mit der genauesten Uhr der Welt, der Atomuhr, die, die elementarste Genauigkeit der Materie, das schwingen von Gasmolekülen als Taktgeber benutzt, die Relativität der Zeit zu beweisen.

Diesen Gedankengang wollte ich aber nicht unbedingt unserem Autoschrauber mit seinem schlechten Englisch in meinem schlechten Englisch erklären. Zwei gleiche Komponenten müssen nicht zwangsläufig zusammenpassen. Wir stiegen in den Leihwagen, ein niegel, nagel, neuer, rote Minivan. Sofortiges Vertrauen in den Motor. In meiner Vorstellung war das Motorenöl noch gelb, unberührt, extra-vergin. Alle Aggregate noch ohne Rost. Kein verschmortes Plastik, null Gummiabrieb. Die kleinen, gelben Kontrollzettel ohne Schmutz, ohne Hitzeblasen. Der Röntgenblick meiner technischen Vorstellungskraft wanderte durch das Triebwerk. Ventile und Nockenwelle in perfektem Einklang. Kolben in harmonischem Auf und Ab. Zündzeitpunkt im aller letzten Augenblick, bevor das Gemisch vor Kompression von alleine zerrissen wird. Egnition. An der Zündkerze, scharfe, blaue Funken in weißem Licht. In diesem Motor gab es keine Dunkelheit, keinen Makel den es zu verstecken galt. Keine vorgetäuschte Verlässlichkeit. Sein Geist war jung und voller Spannkraft.

Doch bei aller Technikgläubigkeit...ein Haarriss im Ventilstutzen, eine überspannte Schraube, die reißt. Ein Relais, das die Glühkerzen nicht mehr am glühen hindert und schon dringt ein kleines stück Materie mehr beiläufig in die heiligen Hallen des erleuchteten Hubraumes. Watsch, Aus und Vorbei! Supergau. Neuwagentotalschaden.

In den Achtzigern wurden zwei Störfälle in englischen Kernkraftwerken bekannt. Im ersten Fall inspizierten Techniker einen Kabelkanal, mangels einer Taschenlampe im Schein einer Kerze. Der Kabelschacht brannte total aus. Im Zweiten ließ sich ein Notventil nicht öffnen, Arbeiter hatten bei der Inspektion eine Cola-Dose darauf stehen lassen. Die dortige freiwillige Feuerwehr wendete die Katastrophe ab, indem sie durch ein in den Betonmantel gebohrtes Loch einen Schlauch einführten und via Wasser marsch den Reaktor abkühlten.

Nach meinem ersten Motorschaden sprach ich häufiger mit meinem Auto. Ganz gezielt sprach ich den Motor an, als wäre dort der Sitz von Seele oder Geist und der Rest wäre wie Arme und Beine. Ich fragte Ihn warum er mich im Stich gelassen hätte und wie das wohl mit uns so weiter gehen soll wenn das Vertrauen mal dahin ist. Ich war skeptisch ob er mich überhaupt verstand. Ich versuchte es auf Französisch, denn ich fuhr ja schließlich ein französisches Auto. Nichts. Beim nächsten Besuch in der Werkstatt klärte mich mein KFZ-Meister auf, dass ich zwar ein französisches Fabrikat fahre, aber dass es sich um eine europäische Co-Produktion handle. Fazit: der Motor sei italienisch. Mein Motor bemerkte sofort wie schlecht mein Italienisch ist. und brummte nur umso verstimmter. Mit meinem Teddy konnte ich, ich meine in meiner Kindheit, konnte ich mit meinem Teddy viel besser reden, wie heute mit meinem Motor. Er schaute mir tief in die Augen und konnte ewig zuhören, ohne dabei die Mine zu verziehen. Er war viel kuscheliger als mein Auto. Nur, das sei einmal angemerkt, kommt man mit Teddybär wesentlich langsamer zur Arbeit als mit dem Auto. Der Vergleich hinkt. Ich versuchte den Geist meines Autos zu besänftigen. Die alten Mayas stimmten ihre Geister mittels Menschenopfer, gnädig. Ich dagegen versuchte es mit Synthetik-Leichtlauföl, Kühlmittel nur vom Feinsten. Nicht jede Maschine ist bestechlich. Wer da mit Wahrscheinlichkeit argumentiert mag sogar Recht haben. So steigt zum Beispiel, rein statistisch die Wahrscheinlichkeit , die Finger an eine Hydraulikpresse zu verlieren mit jedem weiteren Arbeitstag. Es gibt Arbeitsunfälle, die ganz offensichtlich ganz ohne besondere Umstände eintreten. Die Arbeiter sind gut geschult und seit Jahren mit der Maschine vertraut. Sie sind weder übermüdet, noch betrunken und trotzdem, die Hand zieht sich zurück, die Finger verbleiben in der Maschine. Arbeitspsychologen haben sich folgende Hypothese zurecht gelegt. Unterbewusst ist die Unfallangst und das Wissen über das Risiko, dauernd präsent. Als könnte man den Gott der Maschine mit einem partiellen Menschenopfer umstimmen, oder rein statistisch gesehen, als könnte der Zyklus der Wahrscheinlichkeit erneuert werden, ist nach dem Opfer respektive nach der Erfüllung der Wahrscheinlichkeit für Länger Ruh. No Stress. So entkommt man psychisch und religiös dem Unausweichlichen.

Wir hielten an zum tanken. Sprit ist in USA spotbillig. Ich dachte mir die angeschriebenen Gallonen immer schon als große zinkene Metallkannen mit Ausguss und massivem Henkel, so ungefähr vier Liter fassend. Wir fuhren ans Ende der Schlange, cueing. Es schien nicht voran zu gehen. Amerikaner, immer gesprächsbereit vor allem in irgend einer der häufigen Wartesituationen, teilten uns mit der Server, also die Firma, die das Telefonnetz für Kreditkarten-Lesegeräte betreibt, hätte Schwierigkeiten, und ob wir Bargeld hätten, sie hätten nämlich keines. Sie machten den Eindruck von Schiffsbrüchigen ohne Proviant. Noch vor ein paar Jahren, als wir den virtuellen Geldgeschäften misstrauten, als wir noch die Befürchtung hegten eine Transaktion, ein Fehler im System könne uns ruinieren, Credit in Debit verwandeln, da trugen wir noch Bargeld mit uns herum. und das auf die Gefahr hin, dieses an der nächsten Straßenecke, überzeugt von einem blankgezogenem Revolverlauf, mehr unfreiwillig wieder in Umlauf zu bringen. Heute sind wir modern, dem Wandel der Zeit gefolgt, gewöhnt an ein „ Handy“, Magnetstreifen, Scannercodes.

Ein Mäuschen knabbert an der Leitung, schon steht alles still und wir in der Schlange. Jemand vergoss seinen Pappbecher-Frühstückskaffe über einem Computer und der dritte Weltkrieg brach aus.

Woher nehmen wir den Glauben der Gott der Technik sei ein lieber, ein verlässlicher Gott. Der selbe kollektive Technik-Geist hat im Nationalsozialismus sowie im Ostkommunismus die Massen bewegt. Exakt wie Zahnrädchen griffen Funktionen ineinander, verschoben sich Kontingente von Soldaten oder Nicht-Ariern in das eine oder andere Siedebecken der Geschichte um den individuellen Geist dem kollektivem zu opfern. Beim Versagen der Technik trifft nie Jemand die Schuld. Versagen der Technik ist eine Art Naturkatastrophe hinzunehmen aufgrund Verschleißes oder Materialermüdung. Es kommt über uns wie die Rache eines schon zu weit herausgeforderten Gottes.

So standen wir an der Gasstation, der ganze Fluss der Modernität gehindert, gestoppt, keine Gallone hoch-oktanigen Geistes ergießt sich in den Motor um Zylinder zu erleuchten und die Zivilisation damit zu ehren. Am Morgen Zylinderkopfdichtung, am Nachmittag Serverstillstand. Aus Deutschland kamen Nachrichten von Prozessen gegen Radreifen und Concorde-Triebwerke. Keiner war schuld.

Am elften September flog das Wunderwerk der Technik in das Wunderwerk der Architektur. Gozilla verschlingt Kingkong. Der Traum vom Fliegen kollidiert mit den babylonischen Türmen, der Idee Gott gleich sein zu wollen. Alles atomisiert, verflüchtigt, aufgegangen zu Staub. Sensibelste Ziviltechnik trifft auf für die Ewigkeit gebaute, hochästhetische Statik und frisst sich gegenseitig auf. Das hat meinen Glauben, meinen bis dahin opferbereiten Zivilisationsglauben zutiefst erschüttert. Gott der Maschinen, Maschinengott wo bist du?



A pretented Time Out

Lieber Sebastian

Schaue ich nach Oben sehe ich das Pünktchenmuster der gläsernen Gepäckablage. Wirklich sau langweilig. Nachdem ich jetzt seit annähernd fast sechs Stunden genau, im Zug sitze, langeweilt mich eigentlich nahezu Alles. Ich kenne genau Muster sowie Rapport der Sitzbezüge. Ich habe mich schon versucht zu erinnern ob das in allen ICEs die gleichen sind. Ich habe inständig versucht mich zu erinnern um überhaupt etwas zu tun. Die Gesichter der Mitreisenden sind ebenso abgecheckt. Auch da keine große Veränderung. Die Farbgebung des Interieur, absichtlich dezent. Ein gebrochenes Grün, hier trifft gebrochen zu, das höchstens zum Schlafen anregt, wobei das Anregen , so ein Quatsch , dem Einschlafen entgegen steht. Was mir gerade fehlt ist so eine stupide meditative Selbstbeschäftigung. Ich könnte anfangen alles was mich umgibt mit meinem Kugelschreiber einzubläuen. Ganz fett, Quadratzentimeter um Quadratzentimeter ausschraffiert. Das schöne daran ist die fehlende Aussicht auf Beendigung da es nicht an Malgrund mangelt. Zu ende gedacht schon wieder ein tolles künstlerisches Konzept, das wäre nur noch mit der deutschen Bahn AG abzusprechen, obwohl eigentlich viel zu langweilig... Sammeln wäre jetzt gut. Erst irgend ein sinnloses Objekt bestimmen um es dann einem ebenso sinnlosen Sammelsystem zu unterwerfen. Zum Beispiel, alle verloren gegangene weißen Plastik Umrührpaddel auf der rechten Zugseite, zweite Klasse unter den Sitzen zusammensammeln.

Für meinen Schulweg, früher, habe ich mir oft crude Bedingungen ausgedacht, wie, „beim Laufen jeden vierten Randstein auf und wieder abzusteigen. Oder zehn Schritte gehen ohne Luft zu holen, anhalten, Augen schließen, einatmen, weitergehen. Über Jahre habe ich alle Kunstoff-Flaschendeckel die auf dem Container in der Heusteigstraße lagen, mitgenommen. Nicht die von anderen Containern und vor allem nicht die bei mir zuhause durch Eigengebrauch anfallenden. Das Sammelsystem musste enge Regeln haben und ganz wichtig der Ort muss genau bestimmt sein. Wir wollens uns doch nicht leicht machen. Gutes kommt in Schwaben nie von alleine und ohne Fleiß. Außerdem läd die harte Regel die Dinge irgendwie ganz besonders auf.

Im Song über die Schmuddelkinder, Degenhart, du weißt schon, heißt es, dass die Spinne sonntags Langeweilefäden spinnt. Stell dir vor, nur so zur Beschäftigung, weil die Fliegen gerade ausgeflogen sind, oder Flugverbot haben. Ob beim Ai die tägliche Langeweile im Buschalltag mittels Evolution zu diesem Zeitlupengang geführt hat?

Lieber Basti die Ai-Frage ist so schnell nicht zu lößen. Aber mir ist schon klar warum du von einer gespielten Auszeit gesprochen hast. Wir sind ja zu etwas Anderem gar nicht fähig. Wir müssen sie vortäuschen, denn anstatt mich der Zugfahrt-Langeweile bedingungslos hinzugeben schreibe ich dir diese Zeilen. Das bedeutet doch, wenn die Öde mich zum Machen anregt, wie die Wüste den Betenden zur Erkenntnis, dann kann Auszeit in diesem Sinn gar nicht entstehen und muss ergo künstlerisch vorgespielt werden. Hier in diesem Großraumwagen Nummer vierundzwanzig, Nichtraucher ist ja so gar nichts interessant. Der Blick schweift durch die Design-Wüste. Die Formalismen leiten sich ab vom bauhäuslerischen Diktat der Funktionalität und den Beständigkeits-Vorstellungen der Auftraggeber. Ein bisschen grüner Sesselbezug und weiße Punkte im Verlauf, das sorgt für Heiterkeit. Alles bekannt. Doch, hoppla, Links von mir, zwei Fingerbreit unter dem Fenster eine ungeordnete Linie. Ein Kratzer. Halber Millimeter breit, nicht ganz so tief, sich zum Ende hin verjüngend. Das ist die einzige Störung im ganzen Komplex Großraumwagen. Wie kommt sie nur dahin, diese unorganisierte Linie? Die scharfe Metallecke eines schweren Gepäckstücks könnte sich hier eingegraben haben, falls es noch so altertümliche Koffer gäbe. Eine Messerstecherei und die Blutspuren wurden schon längst beseitigt. Vielleicht ist der verräterische Kratzer ein Haarriss, womöglich das Zeichen allgemeiner Materialermüdung und demnächst fällt bei 250km/h ein Radreifen von der Wagenachse. Wenn dich dieser Brief erreicht, musst du aber davon nicht ausgehen.



Die Brüder vom Weissenhof

Loop, ach Loop, sagte er und machte eine Handbewegung, als wolle er etwas vom Tisch schieben. Ein Politikerlächeln spielte um seine Lippen. Menschen die von Kunden abhängen, Verkäufer zum Beispiel, oder jene, die zweifellos etwas zu verlieren haben, kennen nicht einmal den Gesichtsmuskel, der dieses souveräne, etwas arrogante Lächeln erzeugt. Ich hätte es wissen müssen. Es macht keinen Sinn einem Museums-Kurator eine Idee, fast eine Vision, zu unterbreiten, die vorher nicht schon seine eigene war. Ich wollte ihm erwidern, bevor er seine ätzende Besserwisserei über mir ergoss. „ Erinnern sie sich nicht an die kleinen Rennautos aus Metall? Man brachte Sie auf Tempo, indem man sie ein steil, schräg abfallendes Streckenstück hinabsausen ließ. Geil, und schickte Sie unten durch ein orangenes Plastik-looping. Dabei schien sich schon bei der Einfahrt in den senkrecht stehenden Fahrbahnring die Geschwindigkeit der kleinen Flitzer schlagartig zu vervielfachen.

„Hören sie schon auf“, polterte er. Sein Hals wurde rot und dick, scharf konturiert, wie in einem Comicstrip. Kindheitserinnerungen, das ist doch ganz out! „Künstler ihrer Generation haben einen Jetzt-Bezug, vernetzen initiierte Systeme, stören Sehstrukturen, haben Konzepte“. „Wie komme ich aus diesem Text?“, schoss es mir durch den Kopf. Eine rollende Kugel in einem engen Tunnel, vor der man flieht. Ich muss die Bremse reinhauen. Amerika kommt immer gut, klingt international, der Traum aller Kuratoren. „Waren sie schon einmal in Chicago?“ Wie ein geübter Chirurg cuttete ich seinen Reimfluss. „Kennen sie den Loop in Chicago, eine Art Achterbahn, horizontal statt vertikal, im dritten Stock, quer durch die Bürotürme der Innenstadt. Als hätten große Jungs, nachdem Ihnen die Legos ausgingen, ihren big Kindheitstraum verwirklicht?“ Oh Scheiße, da war es wieder „Kindheit“, das Unwort, das no-no für einen Ausstellungsmacher, der echte Trends zu setzen vermag. „Was ich eigentlich sagen wollte.“ Ich versuchte den Wagen noch mal rum zu reißen. In den endlosen Fluren meines Schädels lief ich auf und ab um ein griffiges Wort zu finden, um daran einen neuen Redeschwall zu stricken. Konzeptkunst stand da rot blinkend, dick durchgestrichen. „Ich bin eigentlich gar kein Konzeptkünstler“, höre ich mich sagen. Reden ist manchmal wie Selbstbedienungsregale im Supermarkt der Gefühle. Das ist mein outing und er, Herr Museumsleiter schaut mit versteinerter Mine aus seinem Büro hinaus auf die Straße. Da gab es aber gerade so was von Garnichts zu sehen. Das Zucken seiner Halsschlagader, die er durch seine Kopfdrehung quasi ins Bild gesetzt hatte, war das einzige, was sich im Moment bewegte. Ich sprach nur noch für mich. Mein eigenes Plädoyer. „ Nein, ich wollte auch nie Konzeptkünstler werden. Mich interessieren die Dinge. Die liebenswerten Dinge, die es vermögen Brücken zu schlagen zwischen jetzt und immer. Zwischen dem speziellen des originären Gegenstands und dem allgemeinverbindlichen des Archetyps. Es geht um das Gefühl einer Erinnerung, obwohl der Anlass gar nicht benennbar ist. Ich redete mich warm als müsse Ich die Massen begeistern. Brüder! Brüder im Geiste. Wenn ihr jetzt nur da gewesen wärt. Bruder ,dich nenne ich mal Bruder Zorro und die Anderen entstanden vor meinem inneren Auge als Bruder Ché, Zapata und als roter Korsar. Mit einem: “So muss man das aber nicht sehen“, hätte Bruder Zorro den ersten Spieß ins Herz des Kurators gebohrt. Sicher wie ein Piccadero, der gezielt den Speer in den Nacken des Stiers stößt. „Die Objekte aufgereiht,“ fabulierte ich weiter und fand gefallen an meinem Geplappere „dicht und vielfältig wie in einem Krämerladen mit aller Wahlvielfalt zwischen den leckeren Dingen. Nehme ich grüner-Apfel-spezial oder magic-Avocado? Und alles springt mich förmlich an mit seinem Sex aus Form Farbe und Geruch. So aufgereiht möchte ich die Kunstwerke im Raum haben und genauso scheindemokratisch wie alles was .....“.

„Ihr Ausstellungskonzept ist doch Loop-pool“. Unterbrach er mich schroff. Er hatte sich mir wieder zugewandt, erst ganz gelangweilt, mittlerweile, lauernd, konzentriert. „Das Einzige was ich mit Loop verbinde ist die Endlosschleife in neueren Videoarbeiten von Bill Viola“, zischte er ohne die Lippen auseinander zu bringen. „Puhh“, stöhnte es in mir. Gegen Bill Viola, dem Giganten der Video-Kunst, anstinken. Keine Chance. Mit feuchten Händen unten, oben gute Laune vortäuschend, konterte ich: „ Ja, ja, wie bei ewig grüßt das Murmeltier, wo metaphernhaft für den Alltagstrott, jeder Tag exakt gleich beginnt. Vor allem der Aspekt der Gefangenheit in dieser Zeitschleife.“ Ich fand mich ganz toll, wie geistreich ich das erfasst hatte. Er aber saß mir gegenüber, gleichgültig zurückgelehnt, mit diesem “das hab ich mir schon gedacht“, um die Mundwinkel. Ewig grüßt das Murmeltier war eindeutig ein Film unter seinem Niveau. An Fast-Food Computerspielen und chatten hatte er einfach keinen Spaß. Grufti, was ist das für ein Leben ohne Lara Croft? Ich rutschte unbequem auf diesem typischen Gäste-Bürostuhl herum, grau, mit grobem Stoff bezogen. Sein Modell war ganz in Leder, Armlehnen, Hartkunststoffschalen, kugelgelagerte Rollen, Gasfedertechnik. Er verdient im Moment Geld ,schob sich in meinen Kopf. Ich bog ab auf die Selbstmitleidschiene. Zur falschen Zeit am falschen Ort, beim falschen Prof. studiert und aus die Maus. Mit einer Ausstellung wird’s wohl eh nichts, vor allem, nicht bei diesem Herrn. Ich versuchte einen letzten Ausfall: „ Bei Les Fauves, Brücke, Sezession bis hin zur Mülheimer Freiheit hat man doch immer akzeptiert, die sind eine Gruppe, ergo haben sie Interessenambivalenz“ Super Wort dachte ich, noch so eins. „Weltanschauungskongruenz, zumindest aber hatten sie fett Spaß beim gemeinsam Party machen“, vielleicht zu flapsig, „Reicht es denn nicht aus, als Künstlergruppe ein gemeinsames Vokabular zu haben? Eine übereinstimmende Sicht auf die Dinge und damit ein Repertoire , wie aus einem Guss?“ „Man hat ja stellenweise Schwierigkeiten unsere Autorenschaft auseinander zu halten“. „So langweilig kann unser gemeinsamer Ansatz doch gar nicht sein“. Er faltete seine Hände nahm sie flehend hoch fast vor sein Gesicht. Er lehnte sich tief zwischen die Flanken des massiven Bürostuhls. „Immer Rückendeckung“, dachte ich. Er hatte seine Erwiderung schon parat, doch offensichtlich wollte er ein genüssliches und triumphales Finale. Er schaute wieder zum Fenster rüber. Dreiviertel Profil. Mit einem fast väterlichen, aber bestimmten Ton, jetzt schaute er mir eindringlich in die Augen, schoss er seine V2 Wunderwaffe ab. „Wissen sie Maler, auch sehr gute Maler habe ich genug. Die könnt’ ich jede Woche ausstellen. Junge Leute, gute Handwerker mit super Ideen. Damit lock’ ich aber mein Publikum nicht hinter dem Ofen vor. Nein, nein, was sie mir erst liefern müssen ist ein griffiges Ausstellungskonzept“. Zum Ende seines Satzes war er schon aufgestanden und zu mir herübergekommen. Ich erhob mich wie in Trance. Jovial legte er seine Hand auf meine Schulter. Sein Anzug war zerknittert, seine blasse, konturlose Hand lag wie ein frisch verstorbener Grottenolm auf meiner Lederjacke. Verabschiedungsfloskeln, gute Wünsche, Artigkeiten. Draußen auf dem Gang nickte mir Frau N. durch die offene Bürotüre zu. Mütterlich, verständnisvoll, positiv, als wollte sie mir zu verstehen geben, dass ich nicht der erste sei der... so ist der Chef immer und ich sei ja noch jung. Scheiße ich werde bald Vierzig. Mit Vierzig ist man entweder erfolgreich oder spielt unterste Unterliga. Ab dafür. Ich lief die alte Steintreppen hinunter, das bag mit den Unterlagen über die Schulter geworfen. Zur Türe raus . Eine dieser kleinen Großstädte, zwölf Grad, regnerisch. Studentenstadt am Fluss, altehrwürdiger Kunstverein, ein Durchgangslager für Ausstellungsmacher denen der Sinn nach größerem steht. Ich dachte an Katrin. Man braucht das, wie jederzeit heißen Tee trinken zu können, ohne wirklich Tee zu haben. An etwas denken, wobei sich sofort ein vertrautes, warmes Gefühl einstellt. Mag sein, dass das ein Trick ist, oder peinlich romantisch. Ich hatte aber kurz das Gefühl ein Ritter auf Kreuzzug im Kunstgetriebe zu sein und Rosamunde sitzt am Kamin Gobelins stickend und erwartet sehnlichst meine Rückkehr. Egal. Manche mögen ihren nötigen Halt bekommen weil sie an Mutti oder Zuhause denken. Ich weiß nicht wo mein zuhause ist. Spätestens als meine Eltern die Wände meines Jugendzimmers überstrichen, Wände die ich über viele Jahre mittels Wasserfarben in einen Rousseau’schen Urwald verwandelte, spätestens da war mein Zuhause da, wo ich bin. Jetzt bin ich in Berlin. Mitten drin. Zuhause. Aber Brüder das möchte ich euch sagen, sicherlich ist diese mittelgroße Kleinstadt trotz des einmaligen besonders erwähnenswerten Aufenthalts meiner Person dadurch ausnahmsweise nicht automatisch zu meinem Zuhause geworden. Diese Stadt sicher nicht, wo solche Kuratoren residieren, was sage ich, Hofstaat halten. Brüder ich will beichten. Ich liebe euch. Wir arbeiten jetzt schon so viele Jahre an dieser Idee, was auch immer für eine Idee das sein mag. Auf jeden Fall tun wir das sehr ehrenhaft, sehr idealistisch. Verzückt vom Schönen, Wahren und Guten. Verzückt von unserer eigenen Tugendhaftigkeit und Tatkräftigkeit. Das ist die Sonde, die unsere Ironie und unsere Subversivität befördert. Sind wir Gutmenschen. Gutmenschen mit faustdick Schalk im Nacken.

Ich stand vor einem Gebäude, das ich auf dem Hinweg gar nicht gesehen hatte, aber das war ja auch die Rückseite, denn ich kam relativ sicher von der anderen Seite die Straße herunter. Ich habe bei Gott keine sonderlich gute Orientierung. Ein Blick auf den Stadtplan hätte genügt. Bilder kann ich mir einprägen. Aber ich musste es ja wieder wissen. Scheiß Studentenstadt. Der ICE hatte wie immer Verspätung. Ich saß im Raucher, Fenster, Tisch. Eine komische Angewohnheit, obwohl ich seit drei Wochen nicht mehr rauchte. Die normalen Wochen nach Silvester mit all den guten Vorsätzen. Die Luft war dick. Es war nicht mein Qualm. Es war der Restqualm der Fahrgäste die bereits ausgestiegen waren und jetzt die frische Luft auf dem Bahnsteig genossen. Sie war hübsch. Ich sah sie nur von hinten, aber das reicht einem Mann um ein qualifiziertes Fachurteil abzugeben. Sie lief den Gang lang. Der kurvenreiche Streckenabschnitt zwang sie zu einer performance des beweglichen Zusammenspiels von Hüfte und Wirbelsäule. Für mich war sie zu groß. Sie setze sich ans Fenster, Brille, blond, zartes aber scharfkantiges Gesicht. Ich sah sie nur gespiegelt in der gläsernen Gepäckablage. Unterbrochen von weißen Punkten, die irgend ein Designer dort gelassen hatte. Mit diesen weißen, sich im Verlauf verdichtenden Punkten, schmeichelte er sich noch mal so richtig an die miefige Restbürgerlichkeit die ihm verblieben war, oder die ihm seine Auftraggeber abverlangten. Trotzdem hatte sein konditionierter Geist das Restinterieur konsequent in Bauhaussoße getränkt. Kein gestalterisches Risiko. Wieder saß ich zwischen Kitsch und Konzept. Wie schon gesagt, bin ich kein Konzeptkünstler. Ich verstehe auch nicht, dass Bilder in einem Regal, grüne Wände, oder Baustellen-Absperrungen in einer Galerie aus Kunst, Konzeptkunst machen. Wenn Bilder in einem Swimmingpool dümpeln, interessiert mich das Poetische an dieser Situation, oder das Inhaltliche der Metaphern. Wie: “wasserdicht“ oder “tragfähig“. Die Bilder jedoch werden unwichtiger, treten in den Hintergrund. Die Gesamtidee steht im Vordergrund. Doch das Brüder, ist Verrat an der Qualität der Einzelarbeiten. Sie ordnen sich irgend einem Pippifax unter. Die Bilder müssen stärker als die Deko sein. Das ist doch nicht besser wie ein Hochglanzkarton, der banale Diätflocken beherbergt. Ich stehe aber nun mal auf diese soliden immer aufs neue schmackhaften Getreideflocken, die nichts anderes sein wollen, als das was sie vorgeben zu sein.

Ich fragte mich, ob sie mich auch in der gläsernen, gesprenkelten Gepäckablage sehen konnte. Ob sie hin und wieder einen verstohlenen Blick nach oben richtete, um die mitreisenden heimlich zu beobachten. Frauen können beobachten, ohne dass man es merkt. Männer können da noch so gewieft sein. Ich machte mein coolstes Gesicht. Für alle Fälle. Frankfurt. Die einzige Stadt, die man nachts aus dem Abteilfenster erkennt. Ich wurde immer vergrätzter. Ich gab die Cool-Mine wieder auf. Diese Diktate ärgern mich so maßlos. Meinen achtundsechziger Professoren war alles nicht kritisch oder inhaltlich konsequent genug. Der Malergeneration vor mir konnte es nicht gestisch-struktural genug sein. Voll Opfer der frühen Achtziger. Wir durften alles machen, mussten dabei aber auf einen ehrlich gemeinten Rat, einen echten Standpunkt, oder weitergehend auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kommilitonen, verzichten. Und jetzt kommen die Ausstellungsmacher, die nur ein Konzept verstehen. Leute die ein gut gemachtes Objekt langweilt. Auf welchem Planet sind wir eigentlich? Die alte Erde hat einhundert-zwanzig Milliarden auf dem Buckel, aber von diesem Planet existiert nur noch der Schein. Brüder! Natürlich Brüder im Geiste. Die Gangster von L.A., die vier Musketiere u.s.w.. Irgendetwas verbindet uns im Denken. „Wir bearbeiten die großen Dinge der Welt“, sagte Henk, Professor an der Akademie. Er sagte das so kategorisch und abwertend. Er sagte es gleichzeitig mit seinem holländischen Akzent und alles was er sagte klang nach Rudi Carell. Verwirrend. Er meinte mit den großen Dingen: „Haus, Boot, Auto“ oder „Frau, Geld, Sex“. Er dachte wahrscheinlich nicht daran, dass dies genau die aktuelle Gegensatz-Trias zu „Glaube, Liebe, Hoffnung“–„Blut, Eisen, Erde“ oder anderer abgekackter und überkommener Werte ist. Fuck off. Wir, liebe Brüder wissen wie die Blondine aussieht, die zu diesem Bestrahlungskabinen-braunen, Mitdreißiger gehört. Wir kennen sein Auto und seine Videosammlung. Wir begreifen instinktiv, dass seine blonde, nicht ganz flache, langhaarige Freundin keine Karriere im höheren Management anstrebt. Das ist Fluch und Wahrheit der Klischees. Warum aber, meine Brüder, lieben wir diese Kinderspielzeug-Dinge? Puppe, Haus, Pferd, Auto. Stimmt etwas mit unserer Jugend nicht? Pommes Frites, Ketchup, Game-Boy? Der Kurator, den ich real in seiner Miefstadt zurückgelassen hatte fiel mir in den Gedanken mit: “Künstler können doch nicht fortwährend in Ihrem Kindheitserinnerungs-Seelenkram herumwühlen. Wen interessiert das denn noch“. „Trotzdem“, entfuhr es mir laut. Ein kurzer Blick zur Blonden. Sie hatte es wohl gar nicht gehört, oder tat so. Ein, Zwei, schauten mich fragend an. Halb mitleidig, halb sensationslustig. Ich schob ein unbeholfenes Lächeln weit vor mein Gesicht, machte etwas auf peinlich, peinlich, um dann wieder aus dem schwarzen Abteilfenster zu schauen. Trotzdem, dachte ich leise, innerlich. Was war da los bei Bruder Frank? Der Vater, Maler, Galerist, Architekt, hochbegabt, stirbt weg, da war Frank vielleicht drei Jahre alt. Im Haus, das sein Vater in den Sechzigern gebaut hatte hing alles voll. Hauptsächlich Gemälde im Stil der Zeit. Ein bisschen klassische Moderne, kräftige, konturlose Farbe. Bilder, pastos, sicherer Pinselstrich, aber schon den revolutionären Hauch des Informellen. Basti ist alleine groß geworden mit seiner Mutter. Von Bruder Keith weiß ich auch nur, das heißt, man spürt es deutlich, er ist ein Internatskind. Er kennt immer einen guten Spruch um an die volle Suppenschüssel zu kommen. Und einen, um die Schokolade nicht teilen zu müssen. Bei ihm muss ich immer an verpisste Stockbetten, Schwulitäten und Grabenkämpfe um die Vorherrschaft auf der Bude denken. Ich habe dabei die Vorstellung von einer verklemmten Pubertät in Thomas Mann-Atmosphäre. Wettwichsen im Dunkeln. Bobs Papa ist ein hohes Nato-Tier. Ich stell ihn mir immer vor, wie so ein Offizier aus „Full Metall Jacket“, oder „Platoon“. Klare Ansagen, kein Pardon. Groß, breitschultrig, kurzhaarig. Vier-Kant-Schlüssel-Kopf, viel Lametta und Deko an der Weste. Auf jeden Fall musste Bob immer umziehen. Kindergarten in Da, Grundschule dort. Holland, Norddeutschland, Schwäbische Alb. Von Carl weiß ich nicht viel. Er spricht wenig und nie von Zuhause. Zuhause heißt bei ihm Sauerland. In meiner Fantasie verknüpfe ich Sauerland mit Sauerkraut, aber das gibt auch kein schlüssiges Bild. Bei allem hat es Carl aber faustdick hinter den Ohren. Er ist mehr so ein Heinz-Erhard-Typ. Aus den Lautsprechern werde ich aufgeklärt über Göttingen, Fahrziele, Anschlüsse und die obligatorische Fahrtzeitverlängerung. Die Stimme des Zugbegleiters klang angestrengt. Hochdeutsch war nicht sein Steckenpferd. Es ist ein langer Weg von Regionalschnellbahn im Gehirn zu Regionalschnellbahn im Kehlkopf. Sie stand auf, schlank, jung, Studentin. Zu groß, zu hübsch. Wohin jetzt die Strickjacke? In den Rucksack. Vorbeugen ohne das Hinterteil zu weit ins Gesicht des Nachbarn zu strecken. Ein Eiertanz. Komisch, immer wenn jemand sich anschickt zu gehen, jemand, den man lange und immer wieder mit Interesse angeschaut hat, über den man sich so seine Gedanken gemacht hat, bemerkt man plötzlich erschrocken, dass man kein Wort miteinander gewechselt hat. Dass man sich nicht kennen gelernt hat. Dass alle Vertrautheit alleine im eigenen Kopf entstanden ist, ohne fremdes zutun. Jetzt aufspringen wäre peinlich gewesen, hin gehen und sagen, “war schön mit ihnen zu reisen“, noch krasser. Wie ein eingespielter Mechanismus, da dieses holde Wesen entschwand, drehte sich mein Hirn auf die Kerbe Katrin um dort hörbar einzurasten. Das Wärmekuschel-Knutschgefühl stellte sich automatisch wie erwartet ein. Noch zwei Stunden bis Berlin. Was wusste ich eigentlich über meine Kindheit. Vater und Mutter berufstätig, beide tagsüber im Geschäft. Zuhause meine Oma, die sich für die Aufsicht, nicht aber für die Erziehung von uns Kindern zuständig fühlte. Trotz zweier Geschwister machte jeder so sein Kram. Mit siebzehn in die Lehre. Mit achtzehn Auszug. Mit einundzwanzig eigene Familie und eigener Chef im elterlichen Betrieb. Meine ältere Schwester zumindest sagt, ich hätte zu früh selbstständig sein müssen und hätte jetzt Nachholbedarf. Das sagt die ältere Schwester. Na ja, ich glaube nicht, dass die Kunst der Weißenhofer nachgeholter Spieltrieb ist. Gestern gab es einen Regisseur im Fernsehen. Einer dieser Mitvierziger, Serbe, Kosovo, Ukraine, irgendwo her, simultanübersetzt. Seine Filme sollte man kennen. Arte oder 3-Sat. Ich habe die Filmtitel noch nie gehört. Dieser hagere Mann mit dem post-war Gesicht sagte auf jeden Fall, dass ein guter Regisseur, der nur einen Stuhl abfilmt, diesen auf jeden Fall lieben müsse. Mein Innerstes applaudierte, wobei mir nicht bekannt ist, welches Organ in mir für Applaus zuständig sein soll. Ob da die Darmzotten aneinander klatschen. Göttingen, ein Ruck ging durch das Abteil. Der Zug stand. Ganz und gar verspätet aber er stand. Es ist die Liebe zu den Dingen, ging mir durch den Kopf, die liebe gibt den Dingen das Seelische zurück. Das ist der Nenner, das vereint uns Brüder. Aber, jeder Gedanke braucht sein aber. Aber im Vorrat. Aber aufs Aberkonto. Ich könnte es ja mal einfach stehen lassen. Doch selbst an klaren Sätzen muss ich noch feilen, schrauben, modellieren. Irgendwas fehlt uns doch. Da ist ein Vermissen. Eine seltsame Sehnsucht nach der Vertrautheit und Ehrlichkeit dieser einfachen Dinge. Stuhl, Tisch, Brot, Vase. Oder sind wir nur zu verkalkt im Hirn, zu unterbelichtet? „Künstler von heute machen Konzepte!“ Die Stimme war wieder im Off des Hinterkopfes vernehmbar. Sind wir zu doof um anspruchsvolle, intellektuelle Kunst zu machen? Sind wir Hosenscheißer am Rock der Kunstmutti? Wollen wir nur kein echtes Risiko eingehen? Aber jede neue Arbeit ist ein Risiko, das einfache Risiko des Gelingens oder Nichtgelingens. Immer wieder ein Kampf um die Bilder auf den Punkt zu bringen. „Die Arbeiten müssen wasserdicht sein“, sagte meine

Professorin, eine verhärmte und abgekämpfte Frau. Von was abgekämpft war mir immer klar, vom auf den Punkt bringen. Wasserdicht, schwimmtauglich. Au Scheiße, da schließt sich der Gedanke und ich lande wieder im Pool.... schwimmtauglich. Alles kreist, loopiert quasi um den Pool. Also doch ein Konzept?

Wannsee. Die Fahrgäste drängelten abermals zum Ausgang. Mit Sack und Pack, spitzkantige Koffer wurden in Kniekehlen gedrückt, schon geschulterte Rucksäcke, in die Gesichter der noch Sitzengebliebenen geschwenkt. „Vollkommen sinnlos. Keiner von denen kommt auch nur zwei Sekunden früher nachhause. Müdigkeit hatte sich im Großraumwagen ausgebreitet, die Luft zum schneiden lustlos. Das Gespräch hinter mir, eine Frau mittleren Alters, Sozialpädagogen-Slang, Heidelberger Akzent, eine Mischung aus bunten Legings, etwas Übergewicht und Wollpulli. Sie beseierte schon die ganze Fahrt einen hübschen Schwarzen im abgetragenen Anzug. Dieser bigotte, salbende, ich verstehe doch alles Ton. Das Gespräch gipfelte gerade, nachdem er sich seinerseits als Asylbewerber aus Ruanda geoutet hatte, in dem Satz ihrerseits, es sei doch aber auch schön, wenn man viel in der Welt herumkäme....

Zwei Kleinkinder klirrten und mägten ihr Unbehagen. Je gereizter die Eltern, um so unangenehmer ist die Quitsch-Frequenz der Kurzen. Es klang wie ein Tamagochi, elektronisch Zuneigung heischend, wobei sich im Timbre schon das ganze spätere:“Ihr geht mir so auf`n Sack“, ankündigte. Das also war die Post-Tamagochi-Generation, wobei sich nichtmehr eindeutig klären lässt, ob die Balger, japanische Digitalspielzeuge, klanglich nachamten, oder asiatische Designer diesen, den Stilltrieb animierenden, bäh,bäh-miep,miep-Sound, perfekt, hyperreal, imitierten. Ich wollte unbedingt nach Hause. Ben hat mir mal von Vögeln erzählt, waren es Grünfinken oder Blaumeisen, weiß nicht mehr. Auf jeden Fall, ist dieses kleine Federzeug in der Lage, Töne zu imitieren. So denkt man das eine mal, da geht ein Handy, das andere mal meint man den Braun-Wecker mit seinem penetranten Alarmton zu hören. Kommt Alles von Freund Flattermann, als ganz uneigennützige Erweiterung unserer akustischen Orientierung. Womöglich sind Babys ja auch solche Stimmimitatoren und wiederholen, um uns eine Freude zu machen, nicht ganz so perfekt mit ihrem bläh-bläh das Handy-klingeln. Kinder würden sicher sehr viel schneller kommunizieren wenn man sie nicht immer versuchte auf diesem niedlichen, eideidei, wo ist das kleine, hadu Stinkerchen...Niveau zu halten. Was soll dabei auch rauskommen?

Zoo. Endlich Zoo. Die Türen glitten auf. Er kam rein. Langsamer wie früher, nicht mit soviel Macht, aber immer noch ganz deutlich. Der Berlingeruch. Kalter Brikettrauch, U-Bahngummi, schwacher Buletten-Käffchen-Geruch. Zuhausegeruch. Treppe runter, grünes „S“, Treppe rauf. Alle mit ihren Trollys oder Hand-Karren-Koffer-Anhängseln. Noch vor einem Jahr gabs die gar nicht. Da trug der stolze und galante Mann noch ihren und seinen Koffer selbst, war noch ein ganzer Kerl. Heute folgen die Gepäckhunde brav, in devotem Abstand, ihren Herrchen. bei Fuß. Bei jeder Bodenrille rhythmisches wau-wau-wau. Billigkarren aus Stoff, dünnes Gestänge, die den nächsten TÜV nicht überleben. Luxusgefährte, Gefährten fürs Leben, Hartschale, metallene Stoßkanten auf distinguierten Gummirädern.

S-Bahn, egal welche. Von hier gehen alle über Friedrichstraße, meine Haltestelle. Schönefeld fuhr ein. Auf Kommando sprangen alle Türen auf und saugten Reisende wie Nachtschwärmer in das Innere des Schlauchmagens. Ist das eine besondere Ängstlichkeit, die einen dazu treibt, sich ständig zu versichern, ob man überhaupt in der richtigen Bahn sitzt? Eine Unsicherheit die mindestens solange währt, bis man in die nächste Station einfährt. Erst dann ist klar ob die Fahrtrichtung stimmt. Das Greifen nach dem Hausschlüssel: „wo soll er denn auch sonst sein“. Ist das normal, Hosenladenkontrolle, Gesichtskontrolle im dunklen Fenster, die Jacke ständig, zwanghaft, nach Geldbeutel oder Brillenetui abzuklopfen? Sind wir paranoid? Was wäre schon, wenn der Hosenladen offen stünde, wir sind doch Unterwäscheträger. Was wäre wenn ich die S-Bahn noch mal in die richtige Richtung wechseln müsste? Ist da Peinlichkeit, Angst vor Fehlfunktion? Alles Paranoia.

Friedrichstraße. Im Provinzstädtchen wurden um diese Zeit schon die Gehsteige hochgeklappt. Sollte mein so liebgewonnener Starkurator jetzt noch schnell in seiner Miefstadt was besorgen wollen, nada, Asche. Friedrichstraße leuchtet die ganze Nacht. Heute Sondervorführung, es boxt der Papst. Geöffnet von sechs bis sechs Es steppt der Bär vierundzwanzig Stunden täglich. Ich musste nur noch ums Eck. Ich und mein treuer Hund, braunes Fell, zwei Räder. Plattenfuge, Plattenfuge, Plattenfuge. Geschwister Scholl Straße, durch die große Tür, Vorderhaus, ehemals königlich. Im Hof sofort der gewohnte Blick hoch zu unseren Wohnungsfenstern. Ja, ja, sie war da. Katrin ist zuhause, Katrin ist noch wach, aufgeregte Freude stellte sich ein. Wie immer bat ich meinen Koffer leise zu sein. Ich wollte mich anschleichen. Ich wollte sie überraschen, denn sie wusste ja nur wage, wann ich zurückkommen würde. Eine Treppe rauf, erst mal den Briefkasten checken. Das ist wie mit der Brieftasche. Natürlich war der Briefkasten leer, da Katrin ja schon vor mir nach Hause gekommen war. Unbewusste Reflexe, das ist der Anfang von Altersschrulligkeit. Ich machte die Tür auf und stand in der Küche. Einen Flur davor gibt’s nicht mehr. Ich sagte erst mal leise, laut: „Hallo“. Aus ihrem Zimmer kam sofort ein freudiges: „Hallo Süßer“. Der Stimme folgte jedoch nicht die Person. Das war eindeutig. Da steckte mal wieder nächtliche Computerarbeit dahinter. Also blieb nur eine Umarmung vor dem Altar neuster Medientechnologie übrig. Auch so ein Schoßhund der Labtop. Auf dem Weg in ihr Zimmer fiel mir noch mein Poststapel in Auge. Er verriet im vorbeigehen noch nicht ob er etwaige gute oder schlechte Nachrichten beinhalten würde. Nur so ein Nachbild des Poststapels nahm ich noch mit in Ihr Zimmer. Dann Katrin. Küsse, Vertrautheit. „Wie war`s“?, „Wie war`s“? „Bei dir“? „Und bei dir“? Alles genauere später, „mach erst mal dein Zeug da weiter“.

Gott sei Dank, keine unerwartete Rechnung. Zu bezahlen, ein Satz der einem das Messer reinsteckt und mit dem Wort Mahnung, gleich noch in der Wunde umdreht. Ich förderte eine Postkarte zu Tage. Auf der Forderseite ein paar seltsame bunte Bretter-Skulpturen irgendwo in urbanem Ambiente. „In fünf bis zehn Jahren fällt da die Farbe ab, da freut sich die Gemeinde..“ schoss es in mein Handwerkergehirn. Beim Umdrehen der Karte war klar, eine Karte von Bruder Bob. Also innerlich, alle allzu schnellen, Urteile über die abgebildeten Bretterskulpturen zurückgenommen und mit uneingeschränkter Kollegensolidarität ersetzt. Schöne Grüße aus Stuttgart war auf der Rückseite zu lesen. Ich hatte das Gefühl das wenige an Text war eher ein Understatement und mir klang Bob im Ohr: „He Alter war`n echt geiles Projekt, ist super gelaufen und ne Menge Moos ist auch noch hängen geblieben“.

Einer der Umschläge hatte gleich meine Aufmerksamkeit erregt. Galerie Koch und Grieß, sehr gestylter Briefkopf, Hip-Orange auf Weiß, Positiv, Negativ. So was macht der Hausgrafiker, wenn man ihn nicht mit eigenen besseren Ideen füttert. Koch und Grieß war mir als Galerie nicht unbekannt. Eine der nobleren, etablierten Galerien in Tiergarten. Eine jener Galerien, die meinen, weil sie in einem besseren Kiez ansässig sind auch gleich die gutsituierte Nachbarschaft mit teuren Bildern beglücken zu können. Ich kann diese Affen nicht ab. Er, dunkler Anzug und exaltierte Krawatte, die heute bin ich unter Künstlern Krawatte. Dazu das, ich wäre ja gegebenen Falls sogar bereit ein kleines Werk zu erstehen, Gehabe. Sie, Cucci, Kenzo, Armani, kurzes Kleid, Mitvierzigerin, teure Stola, Schmuck, Silber, große Steine, vom ganz reizenden Schmuckkünstler aus dem Viertel. Für die Abendgarderobe sind also schon mal zwei bis dreitausend weg. Bleibt noch zu finanzieren, der fünfer BMW und die hundertsechzig Quadratmeter Eigentumswohnung, Vorderhaus, dritter Stock. Diese Leute gehen auf Vernissagen, weil das chic ist. Man beweißt Kulturinteresse und lässt sich als potentieller Käufer gerne hofieren. Aber de facto ist für Kunst gar keine Kohle da. Kunstinteresse beginnt mit Nahrungsüberschuss. Ich war schon mal in dieser Galerie, mit Katrin, erinnerte ich mich. Bruder Carl hatte Eröffnung. Da musste also der Kontakt entstanden sein. Ob das damals die Galeristin war, die uns mit Handschlag in der Galerie begrüßte, wusste ich nicht. Es machte auf mich einen äußerst professionellen Eindruck. Normalerweise geht man in eine Galerie, steht ein bisschen blöd rum und traut sich nicht in diesen im Grüppchen zusammenstehenden Kreis aus Galerist und Wichtig Wichtig-Leuten. Schon gar nicht geht man hin und sagt: „Hallo ich bin der und der, Künstler, danke für die Einladung u. s. w.. Falls Kunden dies ganz vorsichtig tun, freuts den Galeristen, könnt ja noch was drauß werden. Tut das der kleine Popel-Künstler (Popel-Künstler = noch nicht auf der Bienale, Venedig gewesen, nicht für die Dokumenta in Kassel vorgeschlagen und kein enger Freund von Kaspar König oder Harald Szeemann ), wirkt das auf den Galeristen eher anbiedernd. Im Großen und Ganzen, unterm Strich, grub sich der Galerienamen an diesem Eröffnungsabend in der Kategorie:“ Gute Galerie, da möchte ich gerne was machen“, ein.

Ich öffnete das Kuvert. Lieber Herr Raschke ( die kennt mich nicht ) ... Katalog gesehen...sehr gefallen... Interesse...können wir einen Termin vereinbaren? WOW! Feuchte Stirn und stolz geschwellte Brust. Da wollte jemand was von mir, ganz eindeutig. Sie meinte mich. Das war Ajuveda auf meine trockne Seele. Bis zu diesem Zeitpunkt baggerte ich die Galerien an, meist erfolglos. Aber jetzt hat sich das Blatt gewendet, dachte ich. Seit heute Kategorie:“ Man wird angeschrieben“. In Zukunft nur noch mit Krawatte ins Bett. Ich stellte mir gleich vor, in nächster Zeit sehr regelmäßig Angesuche derart um meine hochwohlgeborene Person gnädigst entgegen zu nehmen. Ich lief rüber zu Katrin, um ihr ganz souverän und relaxt zu sagen:“Du, da hat die Galerie, du kennst die doch, da waren wir, die möchte was mit mir machen... na ja, mal sehn.“ Katrin merkte sofort, dass ich eigentlich Stolz wie Bolle war, es aber nicht zeigen wollte, zwecks Coolness. Sie nennt mich immer den Oberbedenkensträger. Mag schon stimmen, irgendwie. Ich mach immer wieder die Erfahrung dass, mit jedem Schritt den man näher an das kommt was man denkt erreichen zu wolle, auch immer neue ungeahnte Probleme am Horizont erscheinen. Hat man mehr Ausstellungen, hat man automatisch mehr Fahrten, Transporte, Gespräche, Logistik, das heißt gleichbedeutend, weniger ins Atelier, weniger Zeit für Profit-Jobs nebenher. Fazit: Oberbedenkensträger.

Trotzdem, es war erhebend zu wissen, da hat jemand ein paar Abbildungen im Weissenhofer Katalog, den Bruder Carl ihr wohl gezeigt haben muss, gesehen und findet das dann so gut, zumindest eine Gruppen, wenn nicht sogar eine Einzelausstellung zu erwägen. Offene Fragen drängten in meinen Kopf. Was zeigen die sonst so, Koch und Grieß? Wer sind die? Warum zwei? War diese hübsche ,junge Frau, die wohl offensichtlich zur Galerie gehört haben muss, eine dieser Volontärinnen, die sonst in ihrer Zwingburg aus Fax, Computer und Telefon, Nägel lackierend, ohne auf zuschauen, den Galeriebetrieb am laufen halten? Oder war es die Galeristin selbst? Wobei Koch und Grieß genauso für ein alterndes Schwulenpärchen stehen konnte, die keine Lust mehr hatten ihren Büro oder Schuldienst abzuhocken und stattdessen sich als Galeristen verwirklichten. Oft die guten Galerien. Um Bruder Carl anzurufen war es zu spät. „Außerdem ist das jetzt meine Sache“, dachte ich und Matze Beckmann alias Bruder Carl, könnte ich auch noch später für den Kontakt danken. Wenn die Sache gut lief. Das war ja noch gar nicht sicher. Katrin kam in die Küche in der Hand ein Glas Wein, Chianti. Chianti einer unserer Nenner. Chianti mögen wir beide. In den Jahren die wir jetzt in Berlin zusammen wohnen, haben sich feste Rituale eingestellt. Abends bei einem Glas, meistens werden es mehr, oft zu viel, teilen wir uns mit. Katrin schüttet zuerst aus. Ist O.K., ich komme dann später noch dazu, meine Tagesbedenken, oberbedenkensträgermäsig zu äußern. Mein größter Horror wäre es abends nur noch zu hören, was Kollege A über Kollege B gesagt hätte und, dass bei all den Überstunden die Bezahlung viel zu schlecht sei. Wir haben uns immer noch viel zu erzählen. Schön, aber das Mitteilungsbedürfnis des einen trifft nicht unbedingt zeitgleich auf die Empfangsbereitschaft des Anderen. In unserem Leben passiert ständig was. Seit Katrin ihren Job gewechselt hat, von der alten Ost-Charité ans Robert Koch Institut, arbeitet sie wieder gern. Sie litt dort, glaube ich, an Ineffektivität. Nicht effektiv sein zu dürfen macht sie rasend. Sie kann, während sie morgens noch Texte durchließt, Zähne putzen oder sonst was. Könnte man rauchen und Zähne putzen gleichzeitig, sie wäre die Erste.

Wir saßen in unserer Großküche. Sie ist, seitdem wir und ein paar polnische Hände die trennenden Mauern beseitigten, was in Berlin ja besonders schick ist, ein riesen Ess, Wohn, Leberaum, geworden. Der ehemalige Ost-Charm der Berlin-Mitte-Wohnung ist hin. Ab dafür.

Katrin teilte meine Bedenken, was das Ausstellen in einer eher etablierten Galerie angeht. Du musst erst mal das Programm sehen, was die sonst noch so zeigen. Sie kennt inzwischen meinen Beruf fast so gut wie Ich. Was ich von ihrem kaum behaupten kann. Zu kompliziert, zu wissenschaftlich. Ich bin froh, wenn ich Vieren von Bakterien unterscheiden kann. „Natürlich zeigen Mitte-Galerien junges Programm, sogenannte Avantgarde. Da gehört ihr eigentlich hin.“ Mit „Ihr“ meinte sie mich und Sebastian, respektive unsere Gruppe: DAS DEUTSCHE HANDWERK, im engeren Sinn. „Da verkauft man ja nichts“, konterte ich. „Das schaut man sich gerne an, findet alles und sich selbst, hipp, um dann im Wohnkaufhaus das Werk: “Mädchen sich entkleidend“ zu erstehen“. „Das sind auch nicht eure Käufer“. Da hatte Sie recht, aber an diesem Punkt kreist ein Kunstgespräch um sich selbst. Es kreist um eigenen Anspruch, Selbstverständnis auf der einen und realem Kommerz auf der Anderen. Mit der lächelnden Übereinkunft, “komm wir gehen ins Bett“, stoppten wir die Rotation. Dann wurden die Sätze rarer. „Hast du den Wecker gestellt“? ...“Schön mit dir“... „Schön wieder da zu sein“...“Ich ruf morgen gleich da an“...“Ja, dann weißt du mehr“...“Doucement, doucement“....

Katrin ist keine klassische Schönheit. Klassische Schönheiten sind meist erotisch wie ein Glas Wasser. Ich würde sagen sie ist höllisch attraktiv. Bei ihr scheint nur das Gesicht über die Jahre ein paar unwesentliche Falten mehr bekommen zu haben. Der Rest bleibt fast unverändert. Sie ist drahtig glatt gespannt. Eine Langstreckenläufer Figur wie Ich. Meine Hand verlor sich auf ihrer makellosen Haut. Vertraute Landschaft. Die schönsten Spazierwege.

Am nächsten Morgen wieder Rituale, oder sind es Regeln, die sich aufgrund einer ihnen innewohnenden Effektivität durchsetzen konnten. Frühaufsteher, Ich, Tee kochen, Langschläfer Sie nochmals umdrehen. In der wunderschönen blauen, halben Stunde, die ich schon immer morgens mit meinen immer, gleich halbschläfrigen Handlungsabläufen, genoss. Kocher, Wasser rein, anschalten, Kanne, Tee rein, Schrank, Teller raus... ,konnte ich die Gedanken kommen lassen. Was sage ich nun? Zeige ich erst mal Interesse, oder bin ich erst mal cool? Erscheine ich dann umso professioneller? Ich versuchte mir vorzustellen, wen ich da wohl am anderen Ende der Telefonleitung vorfinden würde? Aus nichts kommt nichts. No Idea.

Katrin kam schlafwandelnd in die Küche, griff, wie noch in Trance, zu einer Tasse Tee. Morgenstund hat Blei im Arsch. Ich mache gerne die Mutti, Kochen, Putzen und so, irgendwie genetisch. In Gedanken war ich schon mit der Galerie im Gespräch. So gegen halb zehn, ich brauchte etwas Vorlauf um die Gesichtsmuskeln geschmeidig koordinieren zu können. So gegen halb zehn rief ich an. Eine sympathische Stimme klärte mich über Öffnungszeiten und derzeit laufende Ausstellungen auf. Überall trifft man auf zweite Hand Informationen. Am Bahnsteig, im Zug, oft verliert man sich desaströs in Sprachgeführte Auskunfts-Labyrinthen. Wollen Sie sich beschweren, drücken Sie jetzt die Acht... Beschwerden können derzeit nicht entgegengenommen werden....Wollen sie an den Gesprächsanfang, drücken Sie die Zwei...Wollen Sie sich beschweren drücken sie jetzt die Acht... und so weiter. Ich ging noch etwas auf und ab, räumte Teller weg, trank Tee, schaltete den Fernseher ein und wieder aus, dachte ans Onanieren nur so zum Zeitvertreib, schaltete den Computer ein und hackte erst mal alle Daten von Koch und Grieß ins Outlook. Das fühlte sich an wie eine Art Aneignung, ein Festhalten und Einverleiben einer Sache, die mir nicht mehr entgleiten sollte. Ganz professionell, die Daten auf dem Schirm, rief ich nochmals an. „Galerie Koch und Grieß, Babara Grieß“. „Hallo, ja, vielen Dank für ihr Schreiben...“. Dabei dachte ich die Stimme erkannt zu haben. Es war die junge, Hübsche kurzhaarige, gutgebaute, seriös wirkende Galeristin und nicht die Bürovertretungs, Fingernägellackier Schlampe. Sie hatte etwas neckisches im Ton, das trotz der kühlen Geschäftigkeit nach Oben drang. Mittwoch. Wir verabredeten uns auf Mittwochabend. Da macht die Galerie zwar zu, aber Sie sei immer noch länger da. Ein Profipunkt für Sie.

Die nächsten Tage verliefen im normalen Trott. Bruder Carl wurde angerufen und über den Besuch bei Oberkleinstadtkurator informiert. Carl hatte wie nimmer so eine trockene Art. Also man müsse da dranbleiben, der Mann schreibt für die wichtigste Kunstzeitschrift Deutschlands. „Aber nicht über uns, darauf kannst du wetten“, entgegnete ich. „Ja aber wer weiß, ob der nicht bald an ein besseres Haus wechselt und uns dann mitnimmt“, „glaubst du“! fiel ich ihm ins Wort. „Der braucht spektakuläre Sachen und große Namen, nicht uns“. Daß ich da womöglich mal was mit Koch und Grieß mache, fand er ganz toll. Das mag ich an Carl, das ist hundert Prozent echt. Die seien schon ganz seriös und machen gute Galeriearbeit. Der Koch hätte noch ne Galerie in Hannover, die wohl vorher schon seine Mutter betrieben hatte. Das klang ganz gut und Carl kennt sich aus, kennt Jeden, kriegt jedes Stipendium. Carl macht das gut. Carl geht demnächst auch an die Cité des Arts in Paris, ein Künstlerhaus mitten drin und so verabredeten wir wage die nächste Weissenhofer Gruppentherapie Sitzung in Paris. Er erklärte sich bereit, die Brüder zu informieren, außer Basti, der hier in Neukölln wohnt, das war immer meine Sache, selbstredend. Ein Tag später rief dann ganz aufgeregt Bob an, was denn das da für ne Kacke mit dem Kurator gewesen sei und was der sich denn einbilde. Sein Ärger beruhte auf dem Glauben, wir hätten ja wohl Konzept genug abgeliefert. Ich dagegen bezweifelte nochmals ganz nachdrücklich , ob das überhaupt ein Konzept sei und nicht nur ein nettes Wortspiel: Looppool obendrein seien wir doch sowieso keine Konzept Künstler. Das hätte ich nicht sagen sollen, au weia. Es war klar, dass das, den immer gleichen halb ironischen Schlagabtausch nach sich ziehen würde.“ Aber ihr seid eben Konzept Künstler, das deutsche Handwerk, du und Sebastian“, kam aus dem Hörer und anstatt ins Ohr zu gehen, stand dieser fast schon Vorwurf, im Raum. Fazit: erneut Klärungsbedarf, aber flapsig, weil unter Freunden. „Das ist doch was ganz anderes“. Eine Floskel, eine Worthülse schob sich durch die Leitung. Kein Sprengsatz, aber ein dauernder Reibungspunkt. „Das Handwerk macht schon richtige Konzepte. Es ist wie Basti gesagt hat, Bruder Keith würde nie eins seiner Bilder hinter eine Flasche oder eine Skulptur, oder sonst was stellen, auch wenn es im Konzept stimmig ist. Man muss auch mal die Einzelarbeit, bei aller Eitelkeit, einer Idee opfern, oder zumindest unterordnen können. Das seh ich nicht bei den Weissenhofern.“ „Das sei doch ein scheiß Rumgemache“, motzte Bob durch die Leitung. „Jetzt machen wir erst mal an der Looppool-Geschichte weiter und sehen wie weit wir damit kommen“, erwiderte ich unemotional und sehr versöhnlich. “Ja, ja is gut“, lenkte Bob ein. „Also dann, und sag mal, wie ist das mit Paris, wäre doch echt klasse wenn wir uns da sehen könnten“. Klar fand ich das gut und fühlte mich von der extraordinären Wichtigkeit unsereins als Parisstipendiaten, geschmeichelt. „Und noch danke für deine Karte , schöne Arbeit vorne drauf“. Das musste ich los werden. Mit, “Ja danke du weißt ja, das war die so und so Sache,“ fanden wir zurück zur Ausgeglichenheit des Gefühlskontostandes. Da konnte ich mir gerade noch verkneifen mit dem Koch und Grieß Termin aufzutrumpfen und alles erneut in Schieflage zu bringen. Am selben Abend kam Sebastian, also Basti, alias Bruder Frank, vorbei. Ich freute mich wie immer Ihn zu sehen. Seitdem er Papa geworden war, wurden Treffen mehr selten. Besonders freute mich, dass er spontan , einfach so vorbeikam, obwohl inzwischen sein Leben noch verplanter war wie meins. Vor allem war ich erfreut, ihn alleine zu sehen. Mit Familie im Schlepptau gab es immer n´ Bisschen Papastress. Basti ist unbestritten mein bester Freund, mag es daran liegen, dass wir fast auf den Tag gleich alt sind, oder daran, dass wir uns täglich mit dem selben Werten und der selben Weltanschauung durch das Leben schlagen. Ich möchte aber noch einräumen, dass manchmal alleine die Definition über die Realität triumphiert. Damit will ich sagen, es kann ohne weiteres sein, dass man in sich festlegt, das ist mein bester Freund oder die Freundin wird zu, mein Schnuckelbär und zu guter Letzt bleibt nur noch ein Begriff, ein Bild, das alleine und nur durch meine Emu-Verknüpfungen existiert. Aber da draußen ist in Wirklichkeit schon lange keiner mehr.

„He Alter“, war seine Begrüßungsformel. So stand er grinsend in unserer Wohnküche, genau wissend, dass sein plötzliches Auftauchen, freudige Überraschung erzeugte. Sich umschauend, mit diesem, welche Wand habt ihr denn jetzt wieder rausgerissen – Kontrollblick, zog er seine Wollmütze vom Kopf. Was seine Wollmütze war, war bei mir das Cap. Eine Reminiszenz an die Jugend, die wohl als solche um die Zeit endete als Vorstadtgangsterkids in Kaputt Kaputzenpullis auf Scateboards und mit Finstermine Puff- Daddy lauschten. Katrin kam dazu, großes Hallo.

Ich hatte gekocht. Alle Inkridentien von Spar-Markt in der Torstraße, ehemals Wilhelm Piek Straße. Was hätte wohl Wilhelm Piek von so einem Supermarkt gehalten. Es war so ein richtiger Rentner Discount. Großes Angebot von gemischtem Aufschnitt, sowohl Wurst, als auch Käse. Statt einem ordentlichem Schoko-Angebot, (Süßtafeln für Wilhelm) Regale voll Pralinenmischungen, Edle Sorte. Man fand eher Sekt als Wein. Eckes Kirsch, Rake Rauchzart. An der Kasse gab es kein Gedränge. Man nahm sich Zeit für einen Blick auf das reichhaltige Angebot von Frau im Spiegel, Neue Post und Kreuzworträtsel Heften.

Das Schweinefilet hatte ich mit „Bacon Frühstücksspeck umwickelt. Das hält das zarte Fleisch zusammen und hindert es beim Braten auszutrocknen. Filet sollte innen immer etwas rosig bleiben. Rind vor allem wird schnell zu trocken. Ich verwende zum Braten bevorzugt Butterschmalz. Butterschmalz vereint zwei Vorteile. Auf der einen Seite wird er heißer wie Butter ohne zu verbrennen. auf der Anderen beinhaltet er die Bestandteile der Butter, die geschmacksverstärkend wirken. Ich hielt noch nie was davon die Garzeit dadurch zu verkürzen, indem man den Deckel auf die Pfanne setzt. Das macht das Fleisch außen unnötig feucht und nimmt den scharf angebratenen Stellen die Knusprigkeit. Dazu gab es grüne Bohnen. Natürlich frisch, soviel Arbeit ist das gar nicht. Waschen, mit Küchenkrepp etwas abtrocknen, Stiele und schwarze Stellen entfernen, in etwas Wasser unter der Zugabe von einem Tick Butter und einer Priese Salz dünsten. Bohnenkraut ist ein unbedingtes Muss. Glücklicherweise hat uns Mutter Natur, herrliche untrennbare Geschmackspaarungen beschert. Warum auch immer. Aufgrund eines großen undurchschaubaren Plans. Offensichtlich ein Gottesbeweis. Was wäre Tomate ohne Basilikum, Leber ohne Rosmarin, Fisch ohne Dill oder gedeckter Obstkuchen ohne Schlagsahne?

Katrin war an diesem Abend für den Kartoffelbrei zuständig. Ein Kartoffelbrei, der alleine schon eine Delikatesse ist. Aus frischen, mehlig kochenden Kartoffeln, keine Milch, nur Sahne, Salz, Muskat. Kartoffelbrei war das, auf was sie sich einen langen harten Arbeitstag freute, dementsprechend musste er beschaffen sein. er versöhnte mit der Welt, und degradierte alles andere, gebraten, pochiert oder blanchiert, wie auch immer, zu bloßer Beilage. Basti kam gerade noch rechtzeitig. Wenn man ihn fragte, ob er mitessen wollte zierte er sich immer ein bisschen. Dass er nicht extra eingeladen sei und zu überraschend käme, dachte er womöglich, oder, dass er viel öfter bei mir aß als anders herum. Ich weiß es nicht, “hab dich nicht so“, gieng mir durch den Kopf und: “essen ist zum essen da“, und andere einfache Sinnsprüche

Ich war begierig bei Nahrungsaufnahme und nem Glaserl Wein alle Neuigkeiten zu berichten. Basti stimmte natürlich mit mir überein, was für ein eklatanter Schwätzer dieser Dr. Kunsthallendirektor war. „Der hockt da doch nur rum, solange, bis er ne bessere Stelle bekommt und während wir da tierisch rummachen , morts Stress haben, Reisekosten selbst bezahlen, verdient der monatlich festes Gehalt, BAT, und nicht zu knapp.“ echauffierte er sich. Genau meine Worte dachte ich, na ja , eben Brüder im Geiste. Katrin motzte ein bisschen mit, einmal, weil sie meist auf unserer Seite stand, aber auch weil sein in ihrem Virologen-Gesundheits-Job tierisch viel arbeitete, für wenig Geld, weil es eben, mit aller Effizienz, gemacht werden musste. Sesselfurzer hasste sie wie die Pest. Ich erzählte noch von Koch und Grieß, Babsi Grieß, wie Becki sie am Telefon nannte und obwohl ich es Katrin gegenüber verschwieg, was ich über Babsi so als Mann dachte, hatte Basti genug mit bekommen um gleich zu sagen: „Ist ja voll die Schnecke, eh“. Treffer. Beim nächsten Glas Wein musste das mit der Loopool-Sache doch noch mal aufs Tapet. „Ist mir schon klar, dass der fürs Kunstforum schreibt und wäre natürlich super ,wenn der sich für uns einsetzen würde, überhaupt, das ist noch mal ein Standbein in Süddeutschland, bei aller Verbreitungstaktik“, hob ich an. „ Der hat doch längst die Kataloge vom Handwerk und von den Weissenhofern, wenn der wirklich was machen, sich für uns einsetzen wollte, dann wär da schon was gelaufen“. „Ja, aber“, sagte ich. “Ne, warte, ich muss doch niemand die Füße lecken, ham wir nicht nötig. Ich hab kein Bock auf so ne halblebige Sache, dazu noch n`pseudo Konzept wie Looppool, lieber mach ich da nichts und ne richtig gute Sache mit dir, als Handwerk“. Seitdem Basti ne kleine Tochter hatte entwickelte er ein äußerst seismographisches Gespür dafür, wo bei aller knappen Zeit und Energie sich der Einsatz lohnte, faktisch sowie gefühlsmäßig, und wo eher nicht. „Ja, hast wohl recht“, antwortete ich nachdenklich, den letzten Schluck Chianti leerend. Es war immer gut, wenn Basti meinen Enthusiasmus zur rechten Zeit bremste, oder meine Bedenken zerstreute. Katrin pflichtete ihm bei, wohl wissend, dass ich zum, mich verzetteln, neige. Jetzt waren wir beide fast vierzig. Der Satz, das ist was, was ich echt nicht brauche, oder, das will ich auf Dauer nicht mehr haben, nahm einen immer größeren Anteil in unseren Gesprächen ein. Ich nahm die Unterhaltung wieder auf. „Im großen Ganzen nutzten uns doch all die Kontakte“. „Jetzt machen wir was in Jena, in Reutlingen, beim Pfarrer Meier und so weiter. Das ist doch eine gute Art von Verbreitung. Wir sind überall present“. „ Das kann uns doch nur nutzen“. Einem ablehnenden Satz, eilt bei Sebastian immer ein verächtliches die Nase hochziehen, ganz ohne jeglichen Rotz, voraus. Dabei zieht ein Mundwinkel in die gleiche Richtung mit. „ Da fahrn wir wieder hin, vorher packen, Aufbaustress, zur Eröffnung kommen dann drei Verirrte, wenn’s gut geht n` bisschen Presse. Ich weiß“, dazu eine allen möglichen Widerspruch vorsorglich hinwegfächelnte Handbewegung. „ Jede Presse ist gute Presse. Rückfahrt, vier Wochen später Abbau, hinfahren, zurückfahren“. Wie der Satz enden musste war schon fast zu erwarten. „Ne, das bringt mir echt nichts auf Dauer“. „ Na ja, schaun wir mal“. Schaun wir mal hütet uns vor der Verhärtung des Gesprächs. Auch ein Grund mit jemandem gut klar zu kommen. Basti ließ sich an diesem, wie an den meisten Abenden nicht überreden, die Schlechtigkeit der Welt in Chianti zu ertränken. Das traute Heim und sein Verantwortungsgefühl, eine weiterer Baustein lange währender Freundschaft, riefen ihn zurück. Beim Rausgehen, die Gangstermütze tief über die Ohren ziehend, nahm er mich in den Arm und verabschiedete sich mit “Aber ist doch super, dass wir die Kunst am Bau in Konstanz haben“. „Siehste, darüber ham wa noch gar nicht gequatscht, wir sehn uns zu selten...Grüße...Grüße an die Lieben, chiao“, war das Letzte, was ich noch zu ihm sagte, da war er schon, mit diesem beschwingten, kleine Jungens Gang., halb die Treppe herunter.

Mittwoch. Ich fuhr ins Atelier. Meine miserable Orientierung zwang mich auch nach Jahren in Berlin immer noch genau zu checken, ob ich am richtigen Bahnsteig stand. Jede “S“ in Richtung Alex war O.K.. Obwohl es herbstlich kalt war machte die Sonne die Stadt glänzend. Ich war ein bisschen acufgeregt, denn der Termin bei Koch und Grieß stand an. Gleichzeitig gab das dem Tag auch etwas Besonderes. Ins Atelier zu fahren war Alltag. Trotzdem, immer wieder aufs neue kurios, die Strecke durch die Museumsinsel. Die S-Bahn Hochtrassse durchschneidet geradewegs die Museumsgebäude. Man fährt wie auf einer Sightseeing tour durchs Gelände. Da die Herbstsonne noch tief stand erleuchtete sie durch die hohen Museumsfenster, all die steinernen Figuren der Glyptothek. Weiße, römische Statuen zogen vorüber. Eine einzigartige Kamerafahrt. Ein Museumsbesuch en passant. Alex und der ganze Osten leuchteten. Ich musste raus, runter auf die Acht, Richtung Hermanstraße. Mein Atelier ist am Zickenplatz, Kreuzberg, Kottbuser Damm, Haltestelle Schönleinstraße. Auch wenn es mühsam war allmorgendlich die Vorhängeschlösser aus der Gittertür aus zuhängen, war ich doch froh, rings ums Atelier Eisengitter zu haben. Zickenplatz, Kinder und Hundescheiße spielen im Sand. Junkies im Tran. Crackraucher mit leerem Blick. Am Zickenplatz treffen sich zwei Welten. Bis Diffenbachstraße regiert der Koran. Statt Buletten, Lachmancun, türkische Basar Atmosphäre verbreitet sich um weit auskragende Gemüsestände. Handy-Läden wechseln sich mit Turk-Air Reisebüros und Dönerbuden ab. In der Diffenbachstraße, Richtung Urban, plötzlich bürgerliches Flair. Kleine Handwerksläden, Glaser und Elektro, eine Zoohandlung, Copy Shop. Mein Atelier ist im Parterre. Ich schloss hinter mir die erste Gittertür vorsorglich ab. Diese Angewohnheit kam schnell, nachdem die ersten Wochen verschiedene Gestalten, plötzlich in der Werkstatt standen. Der Erste, blutverschmiert musste dringend mal telefonieren. Er benutzte mein Handy aber nicht, um die Cops oder einen Arzt anzurufen. Nee, echt Berlin, er schrie, via Mannesmann D2, seine Freundin an, was sie für eine Schlampe sei, und dass er es seinem, wahrscheinlich Widersacher, so richtig gegeben hätte. Der Nächste war eigentlich ganz süß, Er brauchte irgend eine Schraube, 5 x 45, die er sonst nirgendwo bekäme. Wir kürzten eine auf das von ihm benötigte Maß. Leute, die gebrochen mit Akzent nach dem Verbleib des vorher hier untergebrachten alevitischen Kulturvereins fragten, kamen öfter. Bis irgend so ein verpeilter Junky plötzlich dastand und mich ignorierend, wie ein Leuchtturm den Raum auf was abgreifbares, abscante. Frei nach dem Motto aus der Sandelkiste: Ich bin größer wie du, oder ich bin schneller wie du. Seitdem schloss ich die Ateliertüren hinter mir ab. Das Erste, was ich morgens brauchte war Tee kochen und die Bude lüften. Dann Radio einschalten. Deutschlandradio Berlin, die reden noch mit einem. Ich konnte die ganzen DJ-Radios nicht mehr hören. Fritz und Kiss FM. Vor Jahren lief nur noch phantasieloser Techno. Das war keine echte musikalische Alternative zum Motorengeräusch meiner Säulenbohrmaschine, oder meines Bandschleifgerätes. Es war kurz nach zehn. Zeit für die Buchbesprechung im Radio. Es ging um die Zahnhygiene Ludwig des fünfzehnten, während ich anfing an meinen Skulpturen weiter zu arbeiten. Gegen fünf trank ich die letzte Tasse Tee. Tee hält mich am laufen. Zum Schluss noch ein Kontrollgang, war der Herd aus, der Wasserkocher, Gasflasche zu? Natürlich wie immer. Dann Los in Richtung U-Bahn. Der Kotti war rammel voll. Türkische Händler priesen lauthals die letzten Chargen Gemüse zum Schleuderpreis an. Der eigentlich breite Bürgersteig wurde zu eng. Vier vermummte, nicht gerade dünne Frauen ,bahnten sich auf der ganzen Breite ihren Weg, Wie ein Schneepflug im Gestöber. Allem Anschein nach die besten Freundinnen. Beim Ausweichen wäre ich fast mit einer militanten Kinderwagen-Schieberin kollidiert, die in die selbe Richtung pflügte. Es wurde schon dunkel und zunehmend kälter. Karstadt ist um die Urzeit ein Grauer Bienenstock. U-Bahn Herrmannplatz die riesige, gekachelte Halle breitet sich jedes Mal palastartig vor einem aus. Wahrscheinlich der größte O.P. der Welt. Ganz und gar von oben bis Unten, zweistöckig, gelb, glänzend gefliest. Die U-7 brachte mich nach Charlottenburg, von da ist es eine lausige Latscherei zur S- Bahn. Eine Station bis Savigni Platz. Der Bahnhof wurde, so erweckt es den Anschein, in den Siebzigern von Schülern künstlerisch gestaltet. Irgend so ne sozio-kulturelle Stadtteilaktion. Warum musste es ausgerechnet die Bleibtreu Straße sein? All die schicken Läden. Vor einem der alles hat, was keiner braucht, Salzstreuer aus Granit, Obstschalen aus Antirutsch-Riffelblechen, stand ein lebensgroßes Kunststoff Pferd. Ein Hauch von Großstadt verbreitete sich. Bevor ich die Galerie betrat sondierte ich das Außengelände. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite blieb ich stehn und schaute hinüber. Weit hinter den erleuchteten Schaufensterscheiben saß sie, geschäftig, wie eine Feldmaus, die sich die Backen voll stopft. Zwischen ihr und der Eingangstür breitete sich, von der andern Straßenseite beurteilt, bunte, nichts sagende Kunst aus. Alles Flachware, keine Skulpturen. Ich beschloss rein zu gehen. Die Tür schloss sich, der Straßenlärm verebbte. Trotz heller , kühler Galerieatmosphäre war es mollig warm. Die vielen Lampen, dachte ich. Zwei, drei Schritte ging ich vor und schon kam Sie auf mich zu, nicht zu schnell, eher elastisch, behände. Sie lächelte mich an, blitzende Augen alles an ihr wirkte positiv, frisch. „Herr Raschke“? Fragte sie immer noch lächelnd. „Ja, äh, ich hoff, ich bin nicht zu früh“? Oh, no, man sollte eigentlich nie zu früh kommen, das sieht aus als hätte man´s irgendwie nötig, oder als hätte man viel zu viel Zeit. „Ging schneller mit der S-Bahn, als ich gedacht hatte, schickte ich gleich hinterher“. “Ja schaun sie sich mal um“. Eindeutig wollte sie jetzt nicht mit mir über die S-Bahn und ihre Außer-Fahrplanmäßige Unpünktlichkeiten und dadurch bedingte Verzögerungen diskutieren. „Einen Kaffee“? „Ja gerne“, sagte ich. Sie verschwand in einer kleinen, doch ziemlich gestylten Teeküche. Nichts vom OBI, die hatte der Möbelmann von Hand eingebaut...nicht billig. Ich sah sie von hinten, kurzes Haar, Bubi, getönt, karierte dreiviertel Hose in diesem Karo, das gerade alles schmückt, von Handtaschen über Lampenschirme bis zu Brillenetuis. Darüber eine kurze stark taillierte Bluse, spitzer Kragen, Seventies. Die Bluse passte weder im, glücklicherweise dezenten Muster, noch in der blassen Farbe zur Hose. Ich schlenderte durch die Galerie. Das übergreifende Thema musste wohl Druckgrafik sein. Verschiedene Formate und Techniken, aber alles in der Art modern., man könnte sagen Jung. Avantgarde wäre gelobt. An zwei Riesen-Formaten blieb ich hängen. Udo Krupp hieß der Künstler. Die Arbeiten kannte ich von irgend woher. Eines Gelb, das Andere Rot. Sparsame Liniatur. Die Farbflächen breiteten sich über das große Format aus, wie einsame Wüsten. Irgendwie beeindruckend nichts sagend. Sie kam zurück gestöckelt, mit halbhohen Schuhen, so eins siebzig, ein Tablett mit Thermoskanne und Tassen in den Händen. Kanne, Ultramarin, Tassen, preusisch Blau, Tablett, Kunststoff, Kobaltblau. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch mit einer Bewegung, die eigentlich einen kurzen Rock vermuten ließ. Vermutlich war das ein vorsorglicher Bewegungsablauf für alle Fälle. Der Computer arbeitete leise weiter, er war noch wach, während sie Kaffee eingoss. Durch die gläserne Tischplatte schlug sie die Beine übereinander. Ein Hemdknopf war offen, ein junges Décolleté, leicht urlaubsgebräunt. Ein BH zeichnete sich ab, weniger durch seine Farbe, eher durch seine Struktur. Träger, Stege, Bügel. Sie hätte meine Arbeiten im Weissenhofer-Katalog gesehen, was ich mir schon halb denken konnte, und sei dadurch auf meine Skulpturen aufmerksam geworden Die sie sehr schön fände , natürlich. So fängt man ein Gespräch an. Ich lobte im Gegenzug die Kollegen, vor allem Bruder Karl, dem ich ja noch was schuldig war.



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